Montag, 9. Juli 2018

Heimat - immer ein bisschen ding

Ich liebte es, im Sommer auf der Terrasse des Hotelrestaurants zu sitzen. Das elegante Restaurant einmal durchquert, gelangte man über ein paar Stufen auf eine große Terrasse. Immer etwas Besonderes die Abende dort mit meiner Großmutter.
Unter uns die Lichter der Kleinstadt. Der Anblick friedlich und vertraut.

Mit dem Jugendfreund blicke ich auf die Lichter. Mittlerweile ist die wellige Rasenfläche, die sanft den Blick nach unten begleitete, begradigt. Die Terrasse klein, eng und gewöhnlich, der erinnerte Zauber vergangen.

Seit 20 Jahren lebe ich fern der Region, in der ich aufwuchs. Dort wollte ich nur eins: weg! weg! raus der süddeutschen Kleinstadt, in einer großen Stadt leben.

Doch seit einem Jahr war sie auf einmal da. Eindringlich sehnte ich mich nach Süddeutschland, Heimat. Eine Sehnsucht, die sich zunächst nur kulinarisch bestimmen ließ. Nach Jahren, in denen fremde Küchen, vor allem die italienische, gleichbedeutend waren mit Genuss, überkam mich eine Lust auf Brezn, Leberkässemmeln, Obatdzn …

Serien, die das München meiner Kindheit und Jugend wachrufen, stützten diese Sehnsucht. Das Leben der Künstlerclique in Edgar Reitz' Zweiter Heimat ruft das Sehnen der Jugendlichen nach einem anderen Leben wach. Ein Leben kreativ im Kreis von Freunden - letztlich auch dieses tragisch. Befreiender und eigene Fernseh-Erinnerung sind die Geschichten um Monaco Franze, den ewigen Stenz.
Immer das Gschieß mit der Elli“ wird über Wochen mein augenzwinkernder innerer Kommentar zu allem, was den meinen Alltags beeinträchtigt. „Immer das Gschieß“ mit den Aufzügen, sage ich mir, sehe ich schon von Ferne den roten Aufkleber, der signalisiert dass sich die Türen nicht öffnen werden, und ich zu spät komme. „Immer das Gschieß“ mit dem steifen Bein, seufze ich, weigert es sich wieder einmal, das zu tun was ich möchte.
Immer das Gschieß mit …“ wurde zur erleichternden Haltung, die jeden Konflikt auf Distanz rückt.

Eine Reise über Pfingsten nach Italien mit einer, mir bis dahin unbekannten Gruppe aus meiner Region, stellt die Sehnsucht nach der alten Heimat in Frage. Wie vertraut der Klang der Sprechweise, gerade heraus, selbstsicher und behäbig. Doch schon in den ersten Tagen wird klar: die Direktheit nervt. Ob die Kleidung angemessen, ob die Reise mit einem zweimonatigen Säugling angezeigt, und wie der Verlauf meiner Erkrankung einzuschätzen ist …, alles wird kommentiert. Ungefragt. Plump

Bei meiner Heimkehr empfangen mich italienische Temperaturen auch hier. Ich bin zurück. Heimat ist, wenn ich den Fernsehturm sehe.

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