Freitag, 6. Juli 2018

tüchtig tüchtig


Die U-Bahn stoppt. Sie kommt fast direkt neben dem Aufzug zum Stehen. Gut berechnet, denke ich erleichtert. Später als geplant bin ich in die Bahn gestiegen. Doch die kam pünktlich und ich sollte rechtzeitig ankommen. An dieser Haltestelle muss ich nur noch eine Etage nach oben und in die Straßenbahn umsteigen. Den Rollstuhl zur Tür gedreht und ich rolle auf den Bahnsteig. Ältere Männer, kräftige Männer, junge schlaksige Männer, und eine füllige Mutter mit Kinderwagen und Kleinkind im Schlepptau - dunkle Schemen drängen auf dem morgendlichen Bahnsteig Richtung Ausgang. Sie schieben und nehmen mir die Sicht. Erst als ich direkt vor dem Aufzug stehe, sehe ich rot leuchtend den eckigen Schalter an der Tür. Dunkelrot strahlt ein roter Kreis mit weißen Balken über dem Ruf-Schalter. Die morgendliche Fahrt ist erst einmal beendet. Der Aufzug ist außer Betrieb. 

In Sekundenbruchteilen überschlage ich die Lösungsmöglichkeiten. Weiter- oder zurückfahren und an einer anderen Station umsteigen? Dann komme ich viel zu spät zu der Weiterbildung im TÜCHTIG (Berlins erstem inklusiven und barrierefreien Coworking Space). Also mutig doch auf die Rolltreppe und weiter, tüchtig.

Berlin beansprucht für sich das Signet „Barrierefreie Stadt“. In den letzten Jahren hat sich in dieser Hinsicht viel getan. Ich bin seit gut 20 Jahren mobilitätseingeschränkt und beobachte die Fortschritte zur barrierefreien Nahverkehr in Berlin. Bis 2023 wollen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) barrierefrei sein. Momentan sind 104 von 177 U-Bahnhöfen, bei der S-Bahn 156 (von 166) über einen Aufzug oder Rampen barrierefrei ausgebaut. Bereits jetzt sind die Busse mit Rampen ausgestattet, die meisten Straßenbahnen fahren mit sogenannten Niederflurwagen und halten auf höher gelegten Bahnsteigen. Es gibt eine BVG-App, über die Fahrten barrierefrei geplant werden können. Hier oder unter www.brokenlifts.de lässt sich überprüfen, welche Aufzüge wo defekt sind. Diese tools leben von der Mitarbeit vieler und nicht immer sind sie auf dem aktuellen Stand. Von dem kaputten Aufzug an diesem Morgen stand dort nichts.

Sich im Rollstuhl zu bewegen, muss gut geplant sein, und immer mindestens ein Plan B im Hinterkopf. Dazu kommen die üblichen Unannehmlichkeiten und Unwägbarkeiten, die immer mitgedacht werden. So halte ich auch während der restlichen Metern zum TÜCHTIG Ausschau nach Scherben und Rissen im Pflaster. Denn  ihnen muss ausgewichen werden, will man einem Platten vermeiden oder nicht in einem Loch abrupt hängen bleiben. Von Hundekot, anderem ekligem Unrat, in die man möglichst nicht rollt, gar nicht zu sprechen. Auch nicht von den Gerüchen, mit denen man in der niedrigen Sitzposition im Rollstuhl konfrontiert ist.

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite